Mit-vier-Rädern-übers-Wasser
Abends sitzen wir gemeinsam am Lagerfeuer. Bei Bier und guten Gesprächen lassen wir den Tag ausklingen. Unterhalten uns mit anderen Kanuten, nachdem wir uns zuvor zwei Kilogramm Nudeln einverleibt haben, zu viert. Der Tag hat Kraft gekostet.
Doch der Reihe nach: Die Gründer des Startups „Berg über Kopf“, wie Companion2Go ebenfalls gefördert von der Uni Marburg, hatte mich gefragt ob ich nicht Lust hätte, gemeinsam auf Tour zu gehen. Berg über Kopf bietet „Inklusion auf Expedition“: Sie wollen mit Menschen mit Behinderung „auf Expedition“ gehen, um Grenzen auszutesten. Den Horizont dessen erweitern, was man sich so zutraut. Und so kam bald die Idee: Lass uns eine Kanutour machen. In meiner Kindheit war ich mit meinen Eltern und Geschwistern ab und zu mit dem Kanadier unterwegs, und auch im Studium war ich mal auf der Lahn. Die Lahn ist direkt vor der Haustür. Jedoch gab es seit Jahren dazu keine Gelegenheit mehr. Ohne Companions, die das Boot ins Wasser hieven können, Gepäck und Rollstühle verladen sowie Hilfestellung leisten um nicht ins Wasser zu plumpsen – schwierig. Und so fragte ich einen Kumpel, ebenfalls Rollstuhlfahrer, ob er mitkommen möchte; er sagte sofort zu.
Die Planung der Tour übernimmt das Team von Berg über Kopf komplett, und so heißt es für uns nur: Samstagmorgen, 10 Uhr Treffpunkt: Marburg Hauptbahnhof. Los geht’s mit dem Zug nach Wetzlar. Natürlich mit dem Companion2Go-Prinzip: zwei Rollstuhlfahrer und die Jungs von Berg über Kopf: Tim und Julian, unsere Companions. Vier Leute, zwei Tickets. Schon im Zug fragen wir uns: Passt unser ganzes Gepäck überhaupt in zwei Boote? Vier Personen, drei Zelte. Dazu die Schlafsäcke und Isomatten, persönliche Reiseutensilien, aber auch Kochzubehör und Kleidung für jedes Wetter müssen mit. Das Gepäck ist mehr als gedacht. Es ist Mitte September, die Nächte sind bereits kalt. Wir brauchen warme Kleidung. Wäre außerdem nicht schlecht, wenn unsere zwei Rollstühle mitdürften….
In Wetzlar angekommen, machen wir uns auf den Weg zur Einstiegsstelle in die Lahn. Dort treffen wir bereits auf eine kleine Gruppe, die ebenfalls auf ihr Kanu wartet. Weitere Teams werden noch kommen: Vom Mädelsausflug über eine Handballmannschaft bis zu einigen jungen Familien. Nach einer kurzen Einweisung durch den Mitarbeiter des Kanuverleihs dürfen wir starten. Wir verlassen die Domstadt Wetzlar, und mit jedem Paddelschlag stellt sich mehr das Gefühl ein: Wir
kommen an. Es wird ruhig um uns. Wenige Meter von Wetzlar entfernt, fühlt es sich an wie Urlaub. Wir genießen schweigend und paddeln vor uns hin.
Schlag um Schlag kommen wir voran. An Kloster Altenberg vorbei, wo wir das erste Wehr dank handbetriebener Schleuse passieren: Einer unserer Companions steigt aus, bedient die Kurbeln, und steigt hinter der Schleuse wieder ein. Nach etwa zwei Stunden ist es Zeit für die Mittagspause. Wir finden einen Rastplatz an einer Kuhweide, welche an einer Seite durch die Lahn begrenzt ist. Das Anlegen am Ufer und besonders der Weg vom Boot aus aufs steile Ufer sind eine Herausforderung, die wir jedoch gemeinsam ohne Bad in der Lahn meistern.
Nach dem Essen – jeder hatte etwas beigetragen zu einem reichhaltigen Picknick – geht es wieder los. Je weiter wir von der parallel verlaufenden Bundesstraße weg kommen, desto mehr kommen wir an. Mal lachen wir laut, mal schweigen wir wieder lange Zeit, und lassen die Eindrücke auf uns wirken. Wir sind erst wenige Stunden unterwegs, und doch fühlt es sich an, als wären wir ganz weit weg.
Wir bekommen eine abwechslungsreiche Landschaft mit vielfältiger Pflanzen- und Tierwelt zu sehen. Sogar Schildkröten lassen sich am Ufer blicken und genießen dort die spätsommerliche Sonne. Sie wurden wohl ausgesetzt und fühlen sich nun an der Lahn heimisch, wie wir später erfahren. Weiter flussabwärts bekommen wir einen Eisvogel zu Gesicht, ein Indiz dafür, dass die Pflanzen- und Tierwelt auf der Lahn intakt ist, auch wenn wir den ein oder anderen Plastikmüll oder Autoreifen entdecken.
Nach zwei weiteren Wehren, die wir mit den handbetriebenen Schleusen überwinden, endet unsere heutige Tour auch schon in Solms-Schohlek. Hier schlagen wir unsere Zelte auf. Wie anstrengend der kurzweilige Tag war, werden wir erst morgen spüren.
Als wir morgens aufwachen ist es noch kalt. So warm diese letzten Sommertage auch sind; nachts waren es nicht mehr als 5°C über Null. Die Nacht war trotz einiger Paddler, die noch genug Energie für eine spontane Zeltplatzparty hatten, sehr erholsam. Wir müssen zeitig aufstehen, um zur vereinbarten Zeit am Zielpunkt in Weilburg anzulegen. Das Frühstücksbuffet am Zeltplatz bereitet uns gut auf den zweiten Tag vor. Kaffee ist an diesem Morgen Gold wert. Wir haben den ersten Tag in den Knochen.
Nachdem wir die Zelte abgebaut und
alles Gepäck wieder in unseren zwei Booten verstaut haben, geht es aufs Wasser. Die Lahn fließt hier zunächst flott, bis später wieder
eine Schleuse auf uns wartet, an der das Wasser sich staut. Vorbei geht es an der bekannten Mineralquelle Selters, und etwas weiter flussabwärts haben sich Kühe ins Wasser verirrt. Sie lassen uns jedoch gewähren.
Wir setzen unsere Fahrt fort und so dürfen wir bald schon unser Mittagessen zu uns nehmen. Diesmal erwischen wir eine flachere Kiesbank, die das Anlegen deutlich vereinfacht. Wir setzen unsere Tour fort, und ehe wir uns versehen, sind wir schon am Ziel. Fast hätten wir die Anlegestelle verpasst, so sehr sind wir angekommen, auf dem Wasser.
Die zwei Tage haben uns gezeigt, wie schnell man dem Alltag entfliehen kann. Die Ruhe auf dem Fluss, die intensiven Gespräche mit unseren Companions, sie haben die Anstrengung vergessen lassen. Wie müde wir sind, werden wir abends auf der Couch feststellen. Es war ein Erlebnis, das uns beeindruckt hat. Wir haben unseren Horizont erweitert. Und das direkt vor der Haustür.
– Zachi Wittmann. Gründer von Companion2Go. www.companion2go.eu